University Chaplaincy
Tee-Beutel-Predigt
Der Morgen nach Neujahr. Neujahr – das bedeutet für nicht wenige in Mainz auch, dass die Fastnacht in ihre aktive Phase startet. War der Elfte im Elften der Startpunkt, war der Advent eine respektvolle Pause-Zeit, in der nur wenig stattfand, so geht es ab Neujahr wieder so richtig rund. Also stand ich am Neujahrsmorgen fertig gestiefelt in meiner Ranzengarde-Uniform parat, um mitzulaufen beim traditionellen Umzug der Mainzer Garden.
Der Morgen danach war etwas mühsam, war der Neujahrstag doch ein sehr langer … Und so bin ich mit einem großen Becher Tee gestartet, gemütlich-langsam, magenschonend und flüssigkeitsregulierend. Und genau in dem Moment, hat mich mein Tee-Beute quasi ‚bepredigt‘: Ich riss das Tütchen auf und auf dem kleinen Papp-Festhalter leuchtet mir eine Botschaft entgegen: Liebe hat keine Grenzen.
Ich finde es wirklich schön, wenn das Leben mich so überrascht, wenn göttliche Fügung so in mein Leben hineinglitzert. Wenn ein Tee-Beutel so zu mir spricht, dann darf ich dem auch Aufmerksamkeit geben. Und da dieser Impuls noch werden durfte, fand sich also ein Aufhänger – im wahrsten Sinne des Wortes, denn das ist dieser Papp-Festhalter an der Schnur zum Tee-Beutel eben auch, ein Aufhänger.
Die ersten Tage im neuen Jahr, nach Fest und Freude, nach Weihnachten und Zusammensein, nach Silvester und Neujahr – sie sind kirchlich noch immer weihnachtliche Tage, Weihnachtszeit. Auch wenn nun gesellschaftliche alles umschwenkt auf Fastnacht, Fasching und Karneval; wenn bald die ersten Tulpen verkauft werden (ich freu mich schon drauf!) – wir feiern noch Weihnachten bis zum kommenden Sonntag, dem Fest Taufe des Herrn. Vorher liegt (am Samstag) der Dreikönigstag, wie er meist genannt wird. Kirchlich ist es das Hochfest der Erscheinung des Herrn. Und so sind wir heute irgendwie genau dazwischen, zwischen Neujahr und Erscheinung des Herrn. Und genau hier erreicht mich die Tee-Beutel-Nachricht: Liebe hat keine Grenzen.
Diese Botschaft passt gut zu dem, was wir die Jahreslosung nennen. Seit 1930 gibt es sie. Ein Bibelvers, der über das neue Jahr gestellt wird – wie unser Malteser Jahresthema. Die Ökumenischen Arbeitsgemeinschaft für Bibellesen ist dafür zuständig, die Jahreslosung zu ermitteln. In diesem Jahr heißt sie: Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe (1Kor 16,14). Sie stammt aus dem ersten Korintherbrief. Es sind Schlussworte dort. Paulus verabschiedet sich: Seid wachsam, steht fest im Glauben, seid mutig, seid stark! (1Kor 16,13) schreibt er ihnen. Eine Abschiedsszene mit ungewissem Ausgang.
Und er fügt an, was ihm zutiefst wichtig ist – eben unsere Jahreslosung: Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe (1Kor 16,13-14). Für Paulus war es der Wunsch, dass die Gemeinschaft verbunden bleibe und nicht auseinanderfalle; dass das Miteinander gut sei, mit Respekt und Achtung und im Sinne Jesu – das klingt nach so wenig und ist doch so unendlich viel – bis heute.
Vielleicht ist das ein guter Gedanke im beginnenden Jahr. Die Liebe als Haltung, als Lebensart und Handlungsmaxime zu übernehmen, immer wieder neu. Es bleibt wichtig, diese Botschaft stets zu erinnern, zu vergegenwärtigen und miteinander zu teilen. Wir dürfen und können nicht damit aufhören. Diese Botschaft ist unser Leben: Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe.
Die Liebe ist der Kern der Weihnachtsbotschaft. Aus Liebe zum Menschen, aus Liebe zur Welt wird Gott Mensch in Jesus Christus. An Weihnachten feiern wir das Nahekommen Gottes. Und deshalb sind all die Bräuche, Bilder und Traditionen so schön an Weihnachten: Duftende Tannen, brennende Kerzen, romantischer Lichtglanz, das Kind in der Krippe; Süßer die Glocken nie klingen. Es will uns anrühren. Und das soll es auch. Es soll zu Herzen gehen. Es soll guttun – aber nicht nur. Die Botschaft von der Liebe Gottes hat auch einen Auftrag, eine Richtungsangabe und einen Zweck – sie will gelebt werden, sie will zur Welt kommen und in die Welt hineinstrahlen. In den Sterndeutern aus dem Osten begegnet diese Weltwirklichkeit der menschgewordenen Liebe, die ihnen in der Krippe von Betlehem erscheint. Wenn am Sonntag auch die Weihnachtszeit endet, so geht die weihnachtliche Aufgabe weiter – das ganze Jahr lang, Tag für Tag.
Wir leben in unserem Land – und darüber hinaus in Europa und in der Welt – in Situationen großer Herausforderungen. Die Fragen nach Frieden und Gerechtigkeit, nach Klima- und Umweltschutz sind bedrängender denn je. Politische und gesellschaftliche Systeme unterliegen großer Vielfalt und sehr auseinanderstrebender Kräfte. Auch in der Kirche ist das nicht anders – warum sollte das auch so sein – wir bilden all das ab, sind eine große und sehr vielfältige Gemeinschaft. Mich beschäftigt die Frage, was uns verbinden kann. Wie können wir beieinanderbleiben?
Im Blick auf seine Gemeinde in Korinth hat auch Paulus sich dies gefragt. Auch die Korinther waren ein ziemlich bunter Haufen; Korinth war ein Schmelztiegel der Religionen und Kulturen. Und die Korinther-Briefe zeigen deutlich, welche Spannungen, Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten es dort in der jungen Christengemeinde gab.
Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe – das ist Paulus‘ Antwort.
Und die Antwort meines Tee-Beutels: Liebe hat keine Grenzen.
Und schließlich unser Auftrag als KHG, als Christ:innen, dies zur Maxime werden zu lassen und ehrlich zu leben.
Das also wünsche ich uns im Neuen Jahr, wünsche ich mir, wünsche ich allen. Was uns beieinanderbleiben lassen kann – das ist das Vertrauen in die Liebe, die keine Grenzen kennt; wie auch immer ich selbst diese Liebe sehe, begründe oder verstehen mag.
Für dieses neue Jahr also gute Wünsche und Segen.
Ignatius Löckemann | Hochschulpfarrer